Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha
Benjamin Prüfer öffnet Denk-Schubladen und entrümpelt unseren Bestand unsortierter Vorurteile über Indochina, um ein paar authentischen Einblicken Raum zu geben. Nach Beenden der Lektüre wächst sich unsere kleine Kommode zum Apothekerschrank aus, weil 29 Kapitel ihre eigenen Kästchen zimmern. Notabene zum Stichwort „Schubkästen“: Der Titel wird bei den meisten Anbietern als Reiseführer gelistet, der er im klassischen Sinne nicht ist. Es handelt sich um einen Band mit kurzen Reportagen sowie einer Karte. Die üblichen Reisetipps erteilt er nicht, sondern er erzählt.
Der Autor lebt mit seiner kambodschanischen Familie in Phnom Penh, und die persönlichsten Abschnitte thematisieren tatsächlich Prüfers Wahlheimat Kambodscha. Sowohl erhellend als auch berührend ist beispielsweise eine Geschichte über die Geburt seiner Tochter, worin er die Nöte des werdenden Vaters mit einem Schnellkurs über „asiatische Höflichkeit“ verknüpft. Flankiert werden diese Daseinsberichte durch Reisereportagen aus Vietnam und Laos. Darin beleuchtet Prüfer jene Aspekte des südostasiatischen Lebens, die ihm bemerkenswert zu sein scheinen.
Seine Perspektive ist die des Europäers, der den Kulturschock zwar überwunden, jedoch nie vergessen hat. Warmherzig, wie viele Reisejournalisten, ist er dabei nicht. Ebenso wenig befleißigt er sich des gebräuchlichen Wohlfühl-Stils, mit dem unfehlbar Anteilnahme geweckt wird. Im Gegenteil – seine Seitenhiebe zielen auf Einheimische, Zugereiste und Touristen gleichermaßen. Sowohl seine Leser als auch sich selbst hält er, mittels seines süffisanten Tonfalls, auf Distanz zum Gegenstand der Betrachtung. Dieser, an Wladimir Kaminer erinnernde, Kunstgriff fördert die aufkeimende Einsicht, dass „das Indochina“ nicht existiert. Es ist lediglich Illusion, gespeist aus Quellen selektiver Wahrnehmung, wie Fotobänden oder Reiseführern. Freilich gibt es sie, die realen Entsprechungen romantischer Bilder – malerische Pagoden, geschorene Mönche oder Landschaften, die den Betrachter andächtig innehalten lassen. Der Autor macht aber darauf aufmerksam, dass dieses Bild ein wenig zu klein geraten ist. Er ermöglicht uns, ein größeres Format zu wählen, das Platz bietet für die Fremdartigkeit religiöser Riten, für menschliche Unvollkommenheit sowie für historisch bedingte Eigenheiten. Wir müssen nicht alles verstehen. Aber wir dürfen akzeptieren, dass Vietnam, Laos und Kambodscha Länder sind, die ihren jeweils eigenen Weg beschreiten. Prüfer beseitigt vorgefasste Meinungen, bestätigt jedoch Klischees, wenn sie seinem Erleben entsprechen. Auf diese Weise präsentiert er subjektive Momentaufnahmen, namentlich des kambodschanischen Alltags, und erlaubt uns, das Spiegelbild des eurozentrischen Südostasien-Touristen klaglos anzunehmen.
Mit „Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha“ ist bei Piper ein amüsantes, lehrreiches Buch erschienen. Ich-Erzähler Prüfer schildert „von innen“ und leistet somit, trotz distanzierender Ironie, auf 240 Seiten mehr als so mancher Verfasser umfangreicher Reisehandbücher.